- E&W: Sie sind als erster Hochschulsozialarbeiter Deutschlands vor gut drei Jahren gestartet (s. E&W 2/2017). Wie hat sich Ihre Arbeit seither verändert?
Sandro Hänseroth: Anfangs musste ich einige Zeit für aufsuchende Arbeit aufwenden: mich bekannt machen, auf dem Campus, in der Mensa und in Veranstaltungen vorstellen und die Studierenden ansprechen. Heute kommen die Betroffenen von selbst zu mir. Ich stelle mich nur noch den Erstsemestern sowie Fachschaftsräten und neuen Lehrenden vor, die dann zu mir weitervermitteln.
- E&W: Also alles ein Selbstläufer?
Hänseroth: Die Herausforderung besteht wie so oft in sozialer Arbeit darin, auch diejenigen zu erreichen, die nicht so gut vernetzt und erreichbar sind, die zurückgezogener leben und Scheu oder Scham haben, Hilfe aufzusuchen. Zum Beispiel neigen Studierende aus den Ingenieurwissenschaften eher dazu, erst dann zu mir zu kommen, wenn es schon fast zu spät ist. Ihre Fälle sind dann oft komplexer und anspruchsvoller zu lösen. Bei den Sozial- und Kulturwissenschaften beobachten wir, dass sie durch mehr Selbstreflexion sehr frühzeitig ihren Bedarf erkennen und sich eher melden.
- E&W: Wie hat sich die Beratungsarbeit gewandelt?
Hänseroth: Die Arbeit konzentriert und fokussiert sich inzwischen stark auf Einzelberatungen. Es kommen in erster Linie Studierende mit sehr persönlichen Anliegen zu mir. Bildungs- und Gruppenangebote bieten wir zwar weiter an, aber deutlich weniger.
- E&W: Mit welchen Nöten und Sorgen melden sich die Studierenden?
Hänseroth: Es sind vor allem junge Leute, die in einer Drucksituation stehen und schwerwiegende Herausforderungen zu bewältigen haben: gesundheitlich, familiär, psychisch, finanziell. Das kann ein Pflegefall in der Familie sein, ein geplantes oder ungeplantes Baby, ein finanzieller Engpass, der zu einem Nebenjob zwingt oder Lern- und Leistungsschwierigkeiten. Die Betroffenen machen sich Sorgen, wie sie ihr Studium trotz ihrer Zusatzbelastung noch erfolgreich meistern können. Sie wollen sich in erster Linie mehr Zeit verschaffen: mit Urlaubssemestern, Auszeiten, dem Verschieben von Prüfungen. Bei mir geht es dabei fast nachrangig um die Bewältigung der psychosozialen Probleme, sondern eher um die Nahtstelle zur Gestaltung des Studiums.
- E&W: Klingt dramatisch. Gibt es auch leichtere Fälle?
Hänseroth: Zunehmend kommen Fragen hinzu, die im Studium selbst auftreten. Da geht es darum, sich besser zu organisieren, seine Zeit besser einzuteilen, Lernzeiten effektiv zu gestalten, mit einer BAföG-Ablehnung oder mit Prüfungsangst umzugehen. Dazu erlebe ich Zweifel an der Wahl des Studienfachs, des Berufszieles und des weiteren Werdegangs bis hin zu existenziellen Sinnfragen.
- E&W: Wie können Sie da helfen?
Hänseroth: Bei pragmatischen Themen helfen oft schon der Blick von außen und ein paar Anregungen: Wie kann es jetzt weitergehen? Ich vermittle aber auch zu notwendigen Stellen, zum Beispiel zum Therapeuten oder einem stationären Therapieplatz und begleite bei der Rückkehr ins Studium. Wichtig ist mir, die jungen Leute in die Lage zu versetzen, ihre Probleme nach ihren Zielen und Wünschen selbst zu lösen und ihre eigenen Ressourcen und Stärken dafür zu finden. Ich bleibe aber bei Bedarf dran, frage nach, wie sich die Dinge entwickeln und biete weiterhin Hilfe an.
- E&W: Leisten Sie die Arbeit immer noch mit nur einer halben Stelle?
Hänseroth: Für die Hochschulsozialarbeit habe ich eine halbe Stelle für ungefähr 3.000 Studierende an zwei Standorten und bin mit dem Beratungsbedarf gut ausgefüllt. Zudem habe ich an der Fakultät Sozialwissenschaften eine halbe Stelle als Studienscout. Auch da geht es um die Steigerung des Studienerfolgs, nur mit etwas anderen Schwerpunkten. Innerhalb dieser Ressourcen bin ich flexibel und bleibe dadurch den ganzen Tag ansprechbar für Studierende. Für mehr Gruppen- und Bildungsangebote, Projekttage und Kooperationen reichen die Ressourcen aber leider nicht.
- E&W: Worin sehen Sie heute eine der Ursachen für den hohen Beratungsbedarf?
Hänseroth: Die Anforderungen des Studiums sind durch die verkürzte Studiendauer weiter gestiegen. Wenn die Studierenden ihre Zeit nur für das Studium aufwenden könnten, wäre vieles in der Regel leistbar. Aber es wird eng, wenn man sich die persönlichen und familiären Zusatzanforderungen der Einzelschicksale anschaut und dazu den Wunsch, die Studienzeit neben den permanenten Leistungen und Prüfungen auch ein wenig zu genießen.
- E&W: Wen trifft es besonders?
Hänseroth: Die junge Generation, die heute frisch von der Schule kommt, bringt aus meiner Sicht weniger Ressourcen, Erfahrungen und Kompetenzen mit, ein Studium aus eigener Kraft zu schaffen. Viele wissen nicht genau, was sie wollen und knicken zunehmend eher ein als jene, die schon mal gearbeitet, die schon eine Ausbildung oder einen Freiwilligendienst absolviert haben. Diese finden sich besser zurecht und können sich besser organisieren. Inzwischen kommen vereinzelt Eltern für ihre Kinder in die Beratung – das kann eigentlich nicht das Anliegen der Selbstständigkeit in dieser Lebensphase sein.
- E&W: Wie werden Sie an der Hochschule angenommen?
Hänseroth: Mittlerweile gehört das Projekt zur Hochschule und zum Studienalltag ganz selbstverständlich dazu. Ich erlebe eine hohe Akzeptanz, nicht zuletzt durch die vielen Weitervermittlungen von Lehrenden und aus der Verwaltung. Das Projekt ist heute eines der Leuchtturmprojekte der Hochschule.
- E&W: Das Projekt war bisher bis 2020 angelegt. Haben Sie eine Perspektive darüber hinaus?
Hänseroth: Generell gibt es die Aussage des Ministeriums, dass Projekte wie unseres für weitere drei Jahre gefördert werden. Wir haben bereits eine mündliche Zusage bis 2023. Auch vom Bund gibt es meines Wissens im Rahmen des Hochschulpakts generelle Aussagen, solche Projekte künftig unbefristet zu verstetigen. Details kenne ich aber noch nicht.
- E&W: Gibt es mittlerweile ähnliche Stellen an anderen Hochschulen?
Hänseroth: Ich hatte schon mindestens ein Dutzend Anfragen und Besuche von anderen Hochschulen, die unser Konzept bei sich etablieren wollten. Bisher habe ich aber keine Rückmeldung bekommen, dass es irgendwo mit einer solchen Stelle schon geklappt -hätte.
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